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      N  U  N  Q  U  A  M     R  E  T  R  O  R  S  U  M  !

Rugierfarben auf dem Kilimanjaro

                                     Jan 2016



Prolog

Da war die Idee.

In ihrem Ursprung jedoch zwischenzeitlich fast vergessen.

Der Samen für unsere Unternehmung wurde vor mehr als 15 Jahren gelegt, als ich als Gast einer fulminanten Geburtstagsfeier zu einem 30-sten von einem der engsten Freunde des Geburtstagskindes auf dem Parkplatz empfangen wurde und er mir, in einem seiner ersten Sätze und für meine Begriffe ziemlich übereilt mitteilte, daß er gerade auf dem Kilimanjaro war. Und sich sogleich für diese ungebeten aufgedrängte Information entschuldigte, aber: es würde ihn immer noch so so glücklich machen, daß er es einfach jedem mitteilen müsse. Das passiert ihm gerade immerzu.

Minuten intensiven Informationsaustausches später begann ich zu erfassen, daß es zwar eine extrem anstrengende Sache ist, die auch nicht jeder zu Ende bringt, es allerdings nichts mit Bergsteigen, Sicherheitsseilen, Eispickeln o.ä. zu tun hätte. Mehr so eine Art beschwerliche Wanderung war. Es also eigentlich jeder, ohne besondere Vorbildung bewältigen könne.

Unglaubwürdigerweise behauptete er auch noch, nicht wirklich sportlich zu sein.

So fern ab seine Geschichte von meinen eigenen Ambitionen zu diesem Zeitpunkt war, so nachhaltig beeindruckte mich seine so lang anhaltende Begeisterung, die Endorphine, die noch nach Wochen in seinem Blut rauschten.


Sommer 2014. Zu Sechst sitzen wir in einer Maschine auf dem Weg von Nairobi nach Moshi (Tanzania). Uns erwarten 2 Wochen Rundreise durch's Land. Von Lodge zu Lodge mit einem Jeep unterwegs, wollen wir mehrere Naturparks besuchen und einen klassischen Safari-Urlaub machen. (Über den Preis will ich hier, auch mit Rücksicht auch meine studentischen Bundesbrüder, lieber nicht reden. Nur: mehr haben wir nie ausgegeben. Allerdings hat es sich auch gelohnt.)

Bereits im Sinkflug, macht uns der Kapitän darauf aufmerksam, daß wir Rechts neben uns den Kilimanjaro sehen können und er extra für uns eine kleine Runde macht. Also mehr einen kleinen Knick.

Mit der diffusen Erinnerung an die damalige Entzauberung des Mythos überkommt mich ein Hauch von Größenwahn und ich stoße meinen supersportlichen, Triatlon – und Maraton erfahrenen Bbr.Jens an und sage: da will ich auch noch mal rauf. Worauf er mir den erhofften entgeisterten Blick zu wirft und dann abwehrend den Kopf schüttelt. Das wäre nicht sein Ding.

Aber ich solle mir das auch noch überlegen. Er platziert seine Worte sehr bewußt und fährt fort:  seiner Meinung nach, müsse ich da vorher auch noch einiges tun. Okay. Das hat er ja noch nett gesagt.


April 2015. Volkmar, ein damals noch eher entfernter, mir jedoch sehr sympathischer Freund, hält einen Vortrag über seine Kilimajaro-Besteigung im Januar 2015 auf der „Coca-Cola-Route“ (= „Marangu-Route“). Danach fahre ich ihn nach Hause und quetsche ihn noch einmal so richtig aus. Ein Satz schwingt noch lange nach: „Du kannst da Oben soviel atmen, wie Du willst. Es bleibt einfach zu wenig Sauerstoff hängen.“


Januar 2016. Diesmal sitzen wir zu Dritt im Flieger im Anflug auf den Kilimajaro-Airport Moshi; Bbr.Jens, seine Frau Inez und ich. Meine bessere Hälfte hat sich von Anfang an ausgeklinkt, da sie eine alte Kreuzbandverletzung pflegt und deshalb sportliche Übertreibungen meidet.
Wir bekennen uns einstimmig zu einer gewissen inneren Spannung mit Blick auf das, was wir uns vorgenommen haben. Ich habe außerdem noch Momente, wo ich mich fühle, als würde ich freiwillig russisches Roulette spielen.

Meine beiden Mitreisenden haben erheblichen Anteil an unser Vorbereitung auf diese Unternehmung. Beide sind erfahrene Ausdauersportler die wissen, wie wichtig die optimale körperliche, technische aber auch mentale Vorbereitung auf solche Höchstleistungen ist. Wir sind echte Flachlandindianer, kennen Berge nur vom Skifahren, und keiner von uns war je oberhalb von mehr als 3800m unterwegs. Jetzt wollen wir auf fast 6000m. Ab 5000m spricht man in der Literatur schon von der „Todeszone“, in der ein längeres Überleben auch für Trainierte nicht möglich ist.

Sie haben mit einer ganzen Reihe von Kili-Besteigern gesprochen und eine Fülle von Tipps und Tricks zusammengetragen. Wir haben einige Bücher dazu gelesen, bis wir die Hoffnung aufgaben, noch Neues zu finden. Die Ausrüstungsliste wurde im Laufe der Monate immer mehr perfektioniert, ein umfangreiches Medikamentenpaket sicherheitshalber auch gepackt, obwohl wir uns schon sehr spezielle Gedanken gemacht haben. Ohne Pillen scheint es fast nur bei Volkmar funktioniert zu haben.

Die Empfehlung unseres Reiseveranstalters ist es zuvor 5x pro Woche ca. 1h Ausdauersport zu machen, ein halbes Jahr lang.

Ja, Entschuldigung. Das sind zusammen mit Vor- und Nachbereitung ja mal rund 10 Stunden pro Woche, quasi ein ganzer Arbeitstag. Wo soll ich den hernehmen ? Für soviel Sport habe ich einfach keinen Platz in meinem Leben !

Dank Jens, der sich besser auf meine marrotige Unsportlichkeit eingestellt hat, als jeder Sportlehrer den ich je hatte, finden wir ein Training für mich, das wenig Zeit kostet und trotzdem schnell den jämmerlichen Zustand meines Herz-Kreislauf-Systemes verbessert:

Jeden Morgen 10 min diverse Übungen in maximal erreichbarer Schnelligkeit und Dichte, nur mit winzigen Pausen (Steigerungsmöglichkeit: in diesen Pausen die Luft anhalten !), bis mir die Zunge heraushängt, das Herz versucht durch den Hals zu entkommen und der Schweiß aus den Poren spritzt. Jeden Tag.


Als gefühlt „schwächstes Glied“ unserer Gruppe mache ich mir natürlich noch weit mehr Gedanken, wie ich das Trainingsdefizit ausgleichen kann. Der Satz von Volkmar läßt mich im Sommer 2015 ein Pulsoxymeter kaufen. Eine Eingebung. 30 € für eine Fingerklemme mit Display, die die Pulsfrequenz und die Sauerstoffsättigung anzeigt. Auch für Laien problemlos zu verstehen. Und so trifft es sich gut mit einem Geschenk zu meinem 50.Geburtstag, daß ich mit einem Gutschein in der einen Hand und dem Pulsoxymeter in der anderen im Hotel Bornmühle bei Neubrandenburg vor dem Fitnessraum stehe und eine Stunde „Höhentraining“ in Anspruch nehme.

Der Sauerstoffgehalt der Luft wird auf das Niveau von Bergluft abgesenkt. Ein Display an der Wand zeigt die vergleichbare Höhe an. Schon das erste Experimentieren damit bringt Erstaunliches zu Tage: Ab 2500m sinkt die Sauerstoffsättigung des Blutes erheblich ab. Während man auf Höhe Meeresspiegel kaum eine Chance hat, seine Sauerstoffsättigung auf unter 90 % zu senken (trotz Luftanhalten bis fast zum Umfallen !) ist man auf  3500m ganz schnell bei 80%  - ohne die geringsten Anzeichen von Atemnot.
So verwunderlich ist das natürlich nicht: das CO2 wird genauso abgeatmet, wie vorher. Und nur das ist es, was uns in ansteigender Konzentration sonst das Gefühl von Luftnot vermittelt. Haben wir mal in Physiologie gelernt.

Mit dem Verpressen der Ausatemluft läßt sich der Partialdruck des Sauerstoffes jedoch deutlich erhöhen. So machen es die Apnoetaucher, wenn sie versuchen ihren Körper vorm Abtauchen noch einmal maximal mit Sauerstoff zu beladen.

Oder, wie es mir später jemand erklärt, es Asthmatikern gelehrt wird. Dort heisst es „dosierte Lippenbremse“. Genaugenommen also nichts Neues. Kombiniert mit einer hohen Atemfrequenz presst man so erheblich mehr Sauerstoffmolekühle ins Blut.
Das habe ich mir doch die ganze Zeit schon überlegt und es klappt. („Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.“)
Sobald ich tief und schnell atme und ausserdem beim Ausatmen durch den Mund die Lippen zusammenpresse, schaffe ich es bei zuletzt 4100m meine O2-Sättigung von 75% (wenn mal mal nicht aufpasst) auf nahe 100% zu bringen. Da guckt der Trainer aber, wenn er mit seinem eigenen Pulsoxymeter alle 10min die Runde macht !

Das Wochenende vor der Abfahrt trainieren wir noch mehrmals gemeinsam. Und wir testen die Möglichkeiten dieser Atemtechnik ausführlich aus und sind von der Effizienz begeistert. Nachahmung wärmstens empfohlen !


Vorm Flughafen wartet mit einem Schild in der Hand ein sympathisch lächelnder Schwarzafrikaner auf uns. Wilson - unser Begleiter, Guide und Freund für die gesamte Mission.

Wir haben bei der Buchung um einen deutschprechenden Guide gebeten und etwas mehr dafür bezahlt. Eine lohnende Investition, da uns so viel komplexere Gespräche möglich sind und wir sehr viel Zeit miteinander verbringen werden. Dass es zudem so ein netter Kerl ist – ein Hauptgewinn !

Inzwischen ist es spät Abends und wir werden ohne Abendessen auf unsere Zimmer gebracht.

Zum Glück haben wir einen Berg Snacks dabei, so daß wir nicht hungrig einschlafen müssen.


Den nächsten Tag (0) nutzen wir, um uns in Moshi umzuschauen und uns lokale SIM-Karten für unsere Smartphones zu kaufen. 10 USD für 2 GB Datenverkehr  ist doch ein annehmbarer Preis. Das Land kennen wir ja schon etwas und fühlen uns sofort wieder wohl. Dann suchen wir den Veranstalter auf, der uns Wilson gestellt hat und bekommen dort eine ausführliche Einweisung.

Am nächsten Morgen (Tag 1) geht es früh los.
Wir haben unser Gepäck getrennt. Jeder hat einen kleinen 30-Liter-Rucksack auf dem Rücken und einen wasserdichten >100-Liter Transportsack mit exakt 15kg Ausrüstung für den Berg dabei, der alles außer den Zelten, Wasser und den Hauptmahlzeiten enthält.
Die Kleidung für den Rückflug und alles andere Entbehrliche bleibt in den großen Reisetaschen, mit kleinen Vorhängeschlössern verschlossen, in einer Aufbewahrungskammer des Hotels zurück.

Am Büro des Veranstalters steigen wir in einen kleinen Bus, in dem schon unsere gesamte Truppe sitzt. Je Reisenden sind 3 Träger, „Porter“ engagiert, außerdem ein Koch: Musa und ein Kellner: Ibrahim. Wir staunen nicht schlecht. So genau wußten wir das vorher nicht. Und Wilson hat noch einen Assistent-Guide: Johnny. Den wollte ich dabei haben um meinen Mitstreitern nicht die Tour zu vermasseln. Er wird gebraucht, wenn einer von uns vorzeitig aufgeben muß. Denn allein dürften die anderen beiden nicht weiterwandern, denn niemand darf allein am Berg unterwegs sein.

Wilson hat mit allen schon mehrmals zusammengearbeitet und erklärt uns stolz, daß er sehr zufrieden ist mit seiner Mannschaft.

Unser Ziel ist zunächst das Londorossi-Gate (2250m). Alle Kilimanjaro-Reisenden müssen diese Station passieren. Nach regelmäßigen Todesfällen bei den Portern gibt es die gesetzliche Beschränkung auf 20 kg Traglast p.P., die mit ungewohnter Sorgfältigkeit überprüft wird. Sie stehen mit ihren Paketen in einer langen Schlange. Ist etwas zu schwer, müssen zusätzliche Träger engagiert werden. Diese stehen in ausreichender Zahl bereit. Es ist ein begehrter, respektabler, gut bezahlter Job. Vor mehreren Jahren hat auch Wilson so angefangen.

Bis zum Lemosho-Gate (2100m), dem offiziellen Start unserer Expedition, ist es nicht mehr weit.

Auf einer moddrigen Lichtung im Dschungel werden wir entladen. Wer sein Paket auf den Rücken bekommen hat, beginnt mit zügigen Schritten den Aufstieg. Wilson hat zwei etwas leichter beladene Männer mit den Zelten vorweg geschickt, um uns einen schönen Platz am Rand des Camps für unsere erste Übernachtung zu sichern.  So ein Cleverle.

In meinem Rucksack stecken fast 9kg, wie ich mit unserer winzigen Reisewaage überprüft habe, von allem noch etwas extra, „wegen der Sicherheit“ - Wasser, Snacks, Kleidung.
Der Weg ist zwar befestigt (querliegende Holzstangen, z.T. Geländer) aber auch reichlich matschig. Die superleichten Trekkingstöcke und die Gamaschen habe ich heute zwar wirklich nur der Sicherheit halber mitgenommen. Nach mehreren Metern ist meine Hose aber schon beschmiert, und mehrmals wäre ich fast ausgerutscht. So hole ich beides doch bald heraus und werde es die ganzen Tage über benutzen.
Nach 4 Stunden und ca.10 km erreichen wir auf 2750m das Mti Mkubwa-Camp. Wir haben 2 Zelte, in die wir unsere Packsäcke entleeren und gleich die Isoliermatrazen aufblasen. Ich genieße den Platz, den ich allein im Doppelzelt habe. Die anderen Beiden brauchen einige Minuten um ihre Terrains in dem kleinen Doppelzelt abzustecken. Wie gut, daß sie einige voluminöse Kleinigkeiten noch bei mir abladen können. Ibrahim hat inzwischen jedem eine kleine Plasteschüssel mit warmen Wasser hingestellt – für die Abendtoilette. Was für ein unerwarteter Luxus ! Zum Abendessen haben wir ein extra Zelt mit Campingtisch und – Stühlen, großer Thermoskanne und einer großen Schachtel mit Instantkaffe, Zucker und Milchpulver. Das muß aber auch bis zum letzten Tag reichen. Ein paar Teebeutel haben wir selbst dabei.
Unsere Handy haben kein Netz. Wir klemmen eins an einen meiner Akku-Packs und schauen uns ganz frech zu dritt ein Video an Auf einer letzten Runde durchs Camp zählen wir 72 Zelte. Viele Gruppen haben Campingtoiletten dabei, die in lustigen kleinen Steilwandzelten stehen. Unsere kleine Gruppe ist dazu nicht verpflichtet und extra gebucht haben wir es auch nicht. So bleiben für uns nur die Plumsklos, die auch die Porter benutzen.

Volkmar hatte dramatische Beschreibungen von den Toiletten der Coca-Cola-Route abgegeben („Spritzputz“ – war sein Wort dafür). Starke Durchfälle sind bei Nutzung des lokalen Wassers normal. Wir sind hoch sensibilisiert und werfen deshalb voller Mißtrauen zusätzlich Desinfektionstabletten in das kalte, (angeblich) gefilterte und abgekochte Wasser, das uns Ibrahim morgens zur Verfügung stellt. Null Risiko !

Allerdings sehen unsere Toiletten bei weitem nicht so schlimm aus, wie befürchtet.

Gegen 22:00 sind es noch 25 Grad Celsius. Mein Military-Hohlfaser Schlafsack ist mir viel zu warm.


Tag 2: Nach dem Frühstück um 7:00 marschieren wir um 7:30 ab. Alles haben wir schon vorher wieder auf Ruck- und Packsäcke verteilt. Vor uns liegt zunächst ein ziemliches Auf-und Ab.

12km in 7h sind angesagt.
Nach etwa 4h erreichen wir ein Camp, Shira 1 und ich freue mich schon. Aber es geht weiter. Unser Ziel ist das Shira 2 Camp auf 3800m.

Angeblich sagt man hier am Kili immer „Pole pole“, was heisst: immer schön langsam. Aber ich bin mit Sportlern unterwegs und Wilson treibt uns auch eher an, so gehen wir zügigen Schrittes auf der fast waagerechten Shira-Ebene voran. Der Himmel ist bedeckt, ab und zu regnet es. Obwohl es recht kühl ist, schwitze ich extrem und bin nur mit eingekürzten Hosenbeinen und Funktions-T-Shirt unterwegs. Wir werfen mehrmals in höchster Eile dieRegencapes über. Ein richtiges Durchnässen ist unbedingt zu vermeiden!  Nach 7h frage ich Wilson hoffnungsvoll, wann wir denn nun das Camp sehen. Mein Rücken tut zunehmend weh. Vielleicht sollte ich doch nur das Nötigste mitnehmen ? Wilson wehrt ab, nein, nein, 2h noch. Boah !

Als wir nach einem 9h Gewaltmarsch ankommen, resümiere ich eine neue körperliche Höchstleistung. Die 30km-Märsche meiner Armeezeit habe ich deutlich harmloser in Erinnerung.
Andere, die auf dem gleichen Weg unterwegs waren, trudeln erst nach 12h Stunden bei Dunkelheit im Camp ein. Inzwischen haben wir uns erholt, gewaschen, gegessen, die den Hang heraufwehenden Wolkenfetzen im Sonnenuntergang beobachtet und fotografiert und tiefenentspannt festgestellt, daß es nahezu unbegreiflich ist, daß wir vor einer Woche noch, um diese Zeit gerade aus unseren Praxen nach Hause gekommen sind. Und daß wir heute alles richtig gemacht haben.

Irgendwer läßt in der untergehenden Sonne eine Drohne über das Lager fliegen. Ein Geräusch, das mehr Zivilisation vermittelt, als hierher gehört. Obwohl: die Fotos hätte ich gern.


Wir beschließen den Abend mit einer gemeinsamen  Pulsoxymetermessung. Wilson, der gerade dazu kommt, schlägt uns aus dem Stand mit 94 % und lächelt zufrieden. Wir drei stehen - ohne Pressatmung - bei deutlich unter 90%.

Immer wenn ich nachts wach werde, mache ich eine hektische Pressatmungsrunde, da die Messwerte beim entspannten Nachtschlaf noch weiter abfallen. Sobald sich ein leichter Druck im Hinterkopf aufbaut, kann ich ihn auf diese Weise, mit einem Verzug von mehreren Minuten reduzieren.
Morgens wache ich auf und freue mich, daß ich keinerlei Kopfschmerzen o.ä. verspüre.


Tag 3: Wecken um 7:00, Frühstück um 8:00. Bis dahin haben wir unsere Sachen schon wieder zurecht gepackt. Jens zeigt stolz ein Foto, daß er in der Nacht vom Kili gemacht hat: Bei klarem Himmel und Mondschein - beeindruckend. Am Tag ist der Berg nie zu sehen. Um 8:30 geht es los zum Barranco-Camp. Unser Weg führt uns über den Lava-Tower mit 4600m.

Ziel der Lemosho-Route ist es durch mehrmaliges Erreichen von fast 5000m und entspanntem Übernachten auf unter 4000m eine optimale Gewöhnung an die Höhe zu erreichen. So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit auf 90% die Gipfelbesteigung erfolgreich zu bewältigen. Die höchste Abbrecherquote hat die viel schnellere Coca-Cola-Route, die weit weniger körperliches Training und Gewöhnung an die Höhe bietet. Letztendlich hängt jedoch alles vom Wetter ab.

Unser Weg ist ein einziges Auf und Ab, durch und über die dauernieselregenbedingt überall vorbeiplätschernden Rinnsale. Wir wandern durch Wolkenfetzen. Mehrmals stehen wir auf Hügelspitzen, blicken in die uns umschließende graue Wand und lassen uns von Wilson ausführlich den überwältigenden Ausblick erklären - den wir von dort hätten erleben können. Die nur Minuten hervorblickende Sonne schafft es allerdings, uns an den freiliegenden Hautpartien einen ersten Sonnenbrand zu verpassen.
Unsere winterweiße, europäische Haut hat ihr nicht viel entgegenzusetzen.

Die allgemeine Enttäuschung kann ich nicht ganz teilen, da ich mir kaum wage vorzustellen, was für eine Schinderei es für mich wäre, diese Strecke bei wolkenfreiem Himmel zu bewältigen.
Das kleine Quantum Sonne läßt ahnen, wie warm es hier werden kann.
Außerdem ist mir das wirklich egal, wenn wir nur auf dem Gipfel klares Wetter haben.
Als wir auf der Ebene des Lava-Towers ankommen, ist das Maß aber auch bei mir voll. Wir stehen in dichtem Nebel und können selbst die burghofähnliche Fläche am Fuße des steil aufragenden Towers nicht überblicken. Der Regen hat gerade seinen Höhepunkt. Wir finden nicht einmal einen Platz um, wie heiß ersehnt, unsere Lunchpakete zu plündern. Die Nischen unter den gigantischen, herumliegenden Felsblöcken sind restlos besetzt. Wilson freut sich, nach mehrmaligem, misstrauischem Nachfragen, daß wir offensichtlich top drauf sind und nicht einmal Kopfschmerzen haben. Er prophezeit uns, daß wir „es schaffen werden“.

Das verbessert die aufgekommene wetterschlechte Laune nur minimal.

Als wir am anderen Ende das Plateaus angekommen sind, beginnt ohne die versprochene, herausragende Aussicht, schon wieder der Abstieg über einen steilen, scharfkantigen Pfad, den entlang munter das Regenwasser plätschert. Wir hocken uns dicht an eine überhängende Felswand und verspeisen hastig unser Mittag. Irgendwann reisst die Wolkendecke auf und wir erahnen zurückblickend, was uns entgangen ist.


Das Barranco-Camp (3940m) erreichen wir bei einem solchem Nebel, daß wir unsere Mannschaft zuerst nicht finden. Nur wenn man ganz genau hinschaut, erkennt man, daß unser immer freundlicher Wilson verärgert ist. Als schließlich Jonny unsere kleine Zeltstadt gefunden hat, wird seine Laune nicht besser. Separat ist eigentlich gut, dumm nur daß seine Jungs eine Stelle gewählt haben, an der gerade von 2 Wochen einem Reisenden das Zelt nachts mit einer Rasierklinge aufgeschlitzt und der Rucksack mit Geld und Papieren gestohlen wurde. Unsere Zelte werden noch einmal umgesetzt, so daß wir, wie  in einer Wagenburg, von den anderen  Zelten eingekesselt werden. Das alles geschieht ohne ein einziges lautes Wort.
Soviel stille Autorität und Durchsetzungsvermögen hätten wir unserem immerfreundlichen Wilson nicht zugetraut.
Als es Nacht wird, reißt wieder der Himmel auf und gibt den Blick auf den Kili frei. Zeit für Fotos.


Tag 4: Am Morgen ist die Sicht trotz Bewölkung zumindest deutlich besser, als am Tag zuvor.

Vor uns liegt der Mythos „Breakfast-Wall“ - eine ca. 600m hohe Wand, die durch einen überdurchschnittlich steilen und engen Pfad zu bewältigen ist. Die Nutzung der Tekkingstöcke ist hier nicht gestattet, da die Gefahr besteht sich gegenseitig im Gedränge zu verletzen.

Da in diesem Camp auch die Machame-Route übernachtet, ist weder die Zahl der Zelte noch die der Menschen abzuschätzen. Wir sehen nur eine endlose Karawane, die sich seit Sonnenaufgang, wie eine besonders träge, bunte Schlange die Wand hinaufarbeitet, auf die wir sogar gerade den besten Blick haben.

Schon rein optisch etwas fürs Herzklopfen.

Eingereiht in die Karawane müssen wir dann aber feststellen, daß es immer wieder zu längeren Pausen an Engpässen kommt, da sich zwischen bestimmten Felsblöcken Personen nur einzeln hindurchzwängen können. Zeit den Rucksack abzuwerfen und sich zu setzen. Als wir oben ankommen, habe ich auf Grund der vielen Pausen das Gefühl das leichteste und entspannendste Stück der ganzen Tour hinter mir zu haben. Auch hier endet der versprochene „tolle Ausblick“ in Wolkenfetzen, die nur wenige Meter vor unseren Augen vorbeitreiben.

Danach geht es noch mehrmals Auf und Ab, bis wir gegen 13:00 das Karanga-Camp auf 3930m erreichen. Ibrahim erwartet uns dort schon mit dem Mittag. Nach einer ausgiebigen Mittagspause, machen wir uns um 15:00 mit extra leichtem Gepäck 2h lang auf einen Ausflug Richtung Barafu-Camp. Zielpunkt ist ein Hügel auf ca. 4500m, etwa auf halber Strecke. Dort warten wir etwa 30min auf einen freien Blick auf den Kili. Der wird aber fast ununterbrochen von einem den Berghang heraufflammenden Wolkenband verdeckt.  Aus Langeweile zeigen wir Wilson und Johnny Familienfotos auf dem Handy und den üblichen Unsinn. Sie lachen so herzlich, daß sie sich kaum auf den Beinen halten können.
Andere müssen das Problem auch gehabt haben. Die Fläche ist überseht mit Steintürmchen der Langeweile.

Erst als wir resigniert beschließen abzusteigen, reisst das Wolkenband auf und gibt den Blick auf den Berg und für Fotos frei.

Als wir im Camp ankommen, ist der Himmel völlig klar und über dem Berg geht vor klarem Himmel der Vollmond auf. Das wäre nach dem Regenwetter natürlich der verdiente Hauptgewinn!

Wie in den Nächten zuvor, sortiere ich auf dem Smartphone die besten Fotos heraus und sende sie an meine Dropbox - der Wifi-Funktion meiner Kameras sei Dank ! Familie und Freunde haben schon zuvor die Freigabe-Links bekommen und können so zeitnah verfolgen, was wir anstellen. Abends ist der Datenverkehr zwar offensichtlich durch die vielen Nutzer ausgelastet. Irgendwann in der Nacht „tropfen“ meine Dateien dann aber offensichtlich doch in die Box.  

Mein Solarladegerät ist auf Grund des permanent bedeckten Himmels leider geradezu unbrauchbar.
Zum Glück habe ich 3 große Akkupacks dabei, die meinen bzw. unseren Strombedarf, inklusive täglich-abendlicher Videosession, abdecken. Ja, uns geht`s schon gut.


Tag 5: Der Morgen weckt uns mit viel Licht. Die Wärme treibt uns aus den Zelten. Die Gelegenheit ist günstig, deshalb positioniere ich meinen Solarlader und erfreue mich am blinkenden Lämpchen am Akkupack. Geht doch ! Bringt am Ende aber auch nicht überragend viel.
Unseren Leistungsbedarf könnten wir damit nicht decken.

Der Tag beginnt gelassen. Wir haben nur wenig Strecke vor uns bis zum Barrafu-Camp auf 4600m. Als wir gegen Mittag ankommen, ist nur noch Freizeit, Mittagessen und Erholung angesagt.
Zeit zum Kräftesammeln für die entscheidene Etappe…

An einem kleinen Wasserlauf unterhalb des Karanga-Camps gab es die letzte Möglichkeit Wasser aufzunehmen. Einge Träger machen mit großen Wasserkanistern eine Extra-Runde bis dorthin. Als wir wieder unsere Wasserschüsseln hingestellt bekommen, meldet sich ein wenig das schlechte Gewissen. Die 4600m im Barrafu-Camp sind deutlich zu merken. Schon ein einzelner schneller Schritt, ein kleiner Sprung von Stein zu Stein läßt das Herz rasen. Alles fühlt sich unwirtlicher, härter an. Es gibt kaum noch Vegetation. Die lokale Krähenart ist trotzdem noch gut in der Luft unterwegs – unbegreiflich. Es ist ein strammer, mit sinkender Sonne zunehmend kälter werdender Wind, der den Hang hinaufbläst und die Zelte aufbläht. Jens stapelt zum Schutz eine kleine Mauer am Fußende seines Zeltes. Ein kleiner Ulbricht steckt wohl in jedem von uns, necke ich ihn.

Wir sortieren sorgfältig unserer Equipment für die Nacht, den Höhepunkt der Reise. Meinen Rucksack mache ich erst einmal völlig leer und befülle ihn dann sehr zurückhaltend. Nichts mehr „Extra“. Ich feilsche mit mir um jedes Gramm.
Und pokere: Das 500g Regencape bleibt im Zelt. Regnen darf es jetzt also nicht mehr. Am Ende habe ich gerade einmal 3kg. Nach der Schlepperei der letzten Tage sind die fast nicht zu merken.
Das warme Abendbrot und die abendliche Filmguckerei sorgen schließlich für eine gewisse Entspannung, obwohl der Wind hartnäckig am Zelt reißt und es bitter kalt wird.  Jens und Inez haben festgestellt, daß der Empfang gerade recht gut ist und machen eine ausführliche Whatsapp-Video-Konferenz mit Tocher, Schwiegersohn und Enkelkind. Irgendwie scheinen wir in den falschen Film geraten zu sein.

In dieser Nacht spielen mein Hohlfaser-Schlafsack und meine teure, lange Merino-Unterwäsche ihre Leistungsfähigkeit aus. An festen Schlaf ist trotzdem nicht zu denken. Der Wind scheint Orkanniveau anzustreben und ohne bewußtes tiefes Atmen und Verpressen habe ich einfach zu wenig Sauerstoff im Blut. Irgendwann pegele ich mich auf abwechselnd 20min Schlaf und 1 Minute Pressatmung ein. Eine Art Schnappatmung, verbunden mit panikartigem Herzrasen sorgt immer wieder dafür, daß ich aufwache.  Die Pulsoximeterwerte liegen in diesen Momenten unter 75%. Das ist gruselig. Kein Wunder, daß die meisten Leute hier Kopfschmerzen und Schlimmeres bekommen. Da müssen die empfindlicheren Zellen einfach absterben. Und die von vielen verwendeten Schmerz- und Schlaftabletten werden diese Effekte noch erheblich verstärken. Hirn und Lunge sind klassischer Weise von der Höhenkrankheit betroffen. Netzhautablösungen soll es in Einzelfällen als  verzögert auftretenden Schaden auch geben. Das passt zusammen.
Dank der regelmäßigen „Sauerstoffduschen“ unserer Atemtechnik fühlen wir uns jedenfalls recht wohl. Null-Kopfschmerz.

Um 23 Uhr weckt uns Wilson. Es gibt eine letzte „Henkersmahlzeit“. Unsere Zelte können wir ausnahmsweise so zurücklassen. Ein letztes Sortieren, die Stirnlampe an und dann geht es einige Minuten vor Mitternacht in langsamen, gleichmäßigen Schritten los.


Tag 6.
Wir sind in Zwiebelschalen-Manier gekleidet. Unter Hose und Jacke haben wir jeder noch mehrere Schichten Kleidung. Über meine Sonnenbrille mit den hellen Wechselgläsern und Schaumstoffrand, die ich nun auch in der Nacht tragen kann, freue ich sehr. Im heftigen, ca. - 8 Grad kalten Wind ist sie wie eine wärmende Gesichtsmaske. Mit uns sind einige andere Gruppen losmarschiert. Als der Pfad eng wird und alle hintereinander laufen, haben wir uns schon recht weit vorn plaziert. Ich atme wie eine Lokomotive, obwohl wir nur einzelne Schritte machen und es echt, echt langsam vorwärts geht. Der Pfad führt die gefühlt 30 Grad schräge Kraterwand in einer Schlängellinie hinauf. Die Pausen sind kurz und reichen gerade dazu einige Schlucke zu trinken und sich wieder zu verpacken. Die Stöcker sind hilfreich.

Der Vollmond, auf den wir uns schon gefreut hatten, leuchtet wohl gerade auf der anderen Seite des Planeten. Wir haben zwar sternenklaren Himmel, trotzdem ist es so dunkel, daß wir ohne unsere Stirnleuchten aufgeschmissen wären. Allein der Schattenriss des Kraterrandes ist vor dem Sternenhimmel gerade so zu erkennen und bleibt über Stunden völlig unverändert über uns. Irgendwo auf der Mitte der Strecke rechne ich mir aus, daß die 1400m Höhenunterschied, an denen wir gerade knabbern, einem Hochhaus mit etwa 500 Stockwerken entsprechen, die wir die quasi im Treppenhaus bewältigen. Und zudem so blöd sind erst bei 4600 m Höhe loszumarschieren. Die offenkundige Absurdität dieses Vorhabens läßt meine Motivation gefährlich bröckeln und ich beschließe schnell mir statt dessen Gedanken zu machen, mit welchen „ersten Worten“ ich das Erreichen des Kraterrandes kommentieren werde. Das ist unterhaltsam und macht deutlich bessere Laune. Von Anfang an haben wir das Tempo und strahlen wahrscheinlich auch die Lethargie einer Gruppe Leprakranker aus. Über die Stunden wirkt sich dies auch auf die Gemütsverfassung aus. Der nichtendenwollende, sehr, sehr langsame Marsch sorgt in einer Form von Selbsthypnose dafür, daß wir im Nachhinein unisono feststellen, daß wir offensichtlich jeder zwischendurch mal eine halbe Stunde geschlafen haben müssen. Jedenfalls verlieren wir jedes Gefühl für die Zeit. Die Blicke nach Oben spare ich mir schließlich auch fast völlig, da tut sich nichts, demotiviert eher. Wegen der Kälte und um uns nicht zu enttäuschen, schauen wir auch kaum auf die Uhren. Wozu auch ?
Irgendwann beginnt sich jedoch der Schattenriß vor uns mit jedem Schritt zu verändern. Überraschender Weise sind es auf einmal nur noch wenige Meter und plötzlich erreichen wir um 5:50 den fast waagerechten Rand des Kraters.

Hier erwartet uns auf 5756 m der „Stella-Point“. Mir rutscht, nach einem Moment des Atemholens, zwar zurechtgelegt, aber in diesem Moment absolut ehrlich gemeint, nur ein erstauntes „ So schlimm war`s ja doch gar nicht“ heraus. Tatsächlich erholen wir uns schon nach wenigen Atemzügen - die Muskelarbeit ist, verteilt auf die Zeit, viel geringer als angenommen. Zum Warmwerden reicht sie jedenfalls kaum.

Wer es bis hierher geschafft hat, gilt bereits als Kilimanjaro-Besteiger. Aber noch nur 2. Klasse, denn nun gilt es auf dem Kraterrand noch ca. 1 km bis zum Uhuru Peak, dem höchsten Punkt des Kraterrandes, des Berges, ja des ganzen Kontinentes, zurückzulegen. Dank unser Mäuseschritte und der Ablenkung durch die gerade aufgehende Sonne und die sich mit ihr auftuende, fulminante Aussicht, brauchen wir noch eine ganze Stunde, bis wir um 7:00, perfekt in Wilsons Zeitplan liegend, auf dem kleinen, unspektakulären Steinhaufen stehen und unsere Gipfelfotos machen. Trotz extrem ausgedünntem Gepäck haben wir unser Coleur dabei, welches wir nun mit kältezitternden Händen für das entscheidende Gipfelfoto anlegen (zu bewundern im Schankraum auf dem Haus).

Ein ganz besonderer, unvergesslicher Moment.

Und irgendwie eine Fügung, daß sich das alles gerade im 160. Jahr unserer verehrlichen Burschenschaft Rugia ergibt.


Bereits am Abend vorher hatten wir mit Wilson unsere Positionen ausgetauscht, wie lange wir „Oben“ bleiben dürfen. Da es uns überragend gut geht, weit besser als erwartet, sind wir erstmal nicht wegzubewegen.

Das hatten wir ihm für diesen Fall angekündigt.

So oft kommen wir hier ja nicht hierher. Und die Aussicht ist grandios ! Der Wind reißt mit mindestens Windstärke 8 an uns und es sind wohl fast 20 Grad Minus. Die Finger scheinen beim Fotografieren innerhalb von wenigen Sekunden durchzufrieren. Nach etwa 30min wird das Drängen unserer beiden Guides langsam panisch. Na gut, auch die Profis können mal die Höhenkrankheit bekommen, fällt uns reichlich spät ein. Schweren Herzens lassen wir uns dazu bewegen den Rückweg anzutreten. Immer noch strömen Gruppen von Menschen an uns vorbei. Viele sind auf den anderen Routen gekommen, aber hier muß eben jeder entlang.

Die erste Euphorie unseres Gipfelsturms können wir leider nur noch bis zum Stella-Point geniessen. Dann benötigen wir alle Konzentration für den Abstieg, der im Licht betrachtet ganz anders aussieht, als in der Dunkelheit. Bergab sind nur 1,5 h eingeplant, dann dürfen wir in unseren Zelten noch ein wenig schlafen - das lockt, um am Nachmittag allerdings noch weitere 1800 Höhenmeter herabzusteigen, was wir uns gerade noch nicht vorstellen können. Wilson will jetzt schnell mit uns unter die kritischen 5000m kommen.

Das vorgelegte Tempo erfordert in großen Schotterflächen stehend hinabzugleiten, als hätte man Skier an. Nicht ganz meine Sache. Aber es ist der große Moment für die Gamaschen, die verhindern, daß dabei kleine Steinchen von oben in die Schuhe rutschen. Das alles fordert maximale Konzentration und Kraft bis wir gegen 10:00 in der grellen Sonne durchgeschwitzt und mit zitternden Knien endlich das Lager sehen.
An seinem Rande erwartet uns schon einer der Porter und nimmt uns die Rucksäcke ab.
Inwischen sind wir  so weich gekocht, daß wir es dankbar annehmen.


Nach einstündigem, ununterbrochenem, tiefen Schlaf und einer großer Mahlzeit füllen wir wieder unsere Packsäcke. Gegen 12:00 geht es weiter im Schnellschritt bergab und wir erleben noch einmal alle Vegetationszonen im Schnelldurchlauf. Am Ende kommen wir am späten Nachmittag, seit 7:45 den Berg fast 3000 Höhenmeter hinabgehastet,  an einer unübersehbar großen, lichten Stelle des Waldes an: Mweka Hut, auf 3100m die letzte Übernachtungsstation in der sich die Bergbezwinger aller Routen treffen. Es ist das mit Abstand größte und unübersichtlichste Camp unserer Reise. Aber Toiletten und Versorgung lassen endlich wieder die Nähe der Zivilisation erahnen.
Fast jeden Tag haben wir über die Verteilung der üblichen Trinkgelder an das Team gesprochen, hatten von Zuhause extra Dollars in kleinen Scheinen mitgenommen. Ein Thema welches uns mindestens genau so verunsichert, wie die Besteigung selbst. Es gibt Richtwerte innerhalb derer man sich bewegen sollte, um den Frieden innerhalb des Teams und zwischen den Teams zu bewahren. Für uns gibt es keinen Grund weniger als die empfohlene Obergrenze vorzubereiten.  Und völlig vom typisch deutschen Willen alles richtig zu machen beseelt, wählen wir auf Anraten unseres Guides den ganz korrekten Weg: die Übergabe der Trinkgelder in einer kleinen Zeremonie zwischen den Zelten. „So ist am Besten.“ Ein großer Kreis, Gesang der Mannschaft, Dankesreden beider Seiten, Verteilung des abgezählten Geldes in separaten Briefumschlägen mit ein paar englisch hingeholperten Dankesworten, inklusive Umarmung und Schulterklopfen, an jeden Einzelnen und nochmal Singen. Im ersten Moment etwas peinlich. So viel Aufhebens ! Aber eine wichtige Form der Würdigung und des gegenseitigen Wahrnehmens, denn mit den Portern hatten wir nur wenig zu tun, hatten sie im steten, täglichen Fluß der vorbeihastenden Gepäckträger kaum von denen anderer Gruppen unterscheiden können. Wir geben ihnen all die Herzlichkeit dieses Moments und werden mit einer Dankbarkeit belohnt, die über die finanziell bedingte weit hinausgeht.


Tag 7. Der letzte Tag beginnt mit dem Abstieg zum Mweka Gate (1640m), dem Ausgang des Kilimanjaro-Nationalparkes. Unterwegs stelle ich erschreckt fest, daß ich diesmal mein Trinkwasser nicht desinfiziert habe. Na gut. Was soll noch passieren? Tatsächlich hat es keinerlei Nachwirkungen. Im Nachhinein klären wir auf: Im Gegensatz zur erwähnten Coca-Cola-Route finden sich auf unserer Route nur fließende Gewässer, denen das Wasser entnommen wird. Hier gibt es, wenn überhaupt, nur eine sehr minimale Keimbelastung. Die Teams trinken das Wasser üblicherweise ungekocht. Tja, da haben wir uns die ganzen Tage wohl umsonst mit den Chlortabletten gequält. Gefiltert und gekocht war es ja offensichtlich schon. Hatte man uns ja zugesichert.

Der einzige „Körperschaden“, der mich allerdings noch fast exakt ein halbes Jahr begleiten wird, ist ein Bluterguß in einem großen Zeh. Beim Hinabmarschieren rutscht man automatisch weit nach vorn in den Schuh und ich bin mehrere Stunden mit nicht fest gebundenen Schuhwerk unterwegs gewesen - selbst Schuld.

Gegen 11:00 tragen wir uns in dem obligatorischen Besucherbuch ein, das an allen Stationen ausliegt bzw. in diesem Fall aus. Ausserdem gibt es die heilige Urkunde, die die Besteigung des Uhuru Peaks bestätigt.

Wir nehmen großartige, unvergessliche Erinnerungen mit nach Hause, sind auf der einen Seite sehr stolz darauf, es geschafft zu haben, spüren die Belastung noch in den Knochen und fragen uns doch schon, ob wir das noch einmal machen wollen. Die anderen Routen bieten weitere reizvolle Aspekte.


Was bleibt:

Meine Einstellung zu sportlichen Herausforderungen hat sich grundsätzlich geändert (Das wurde auch höchste Zeit !)

Neue Herausforderungen locken: Im Sommer war ich mit Volkmar im Elbsandsteingebirge Kettern, richtig Klettern.
Jens und Inez haben im selben Jahr in Peru noch zwei 6000er bestiegen.
Von den 10min Extrem-Herzrasen-Frühsport sind immerhin 5min übrig geblieben, die brutal jeden Morgen durchgezogen werden.
Wenn ich ein Tief habe, dann reicht es mir die Bilder dieser Reise anzuschauen. Eigentlich reicht es schon daran zu denken - das hat den gleichen Effekt: es setzt Endorphine frei.




Reisen ist ein guter Weg Geld auszugeben und doch reicher zu werden.